Fotografieren lernen in Berlin

im Schatten der Netzwelt

Filmposter in dunklen Farben die Silhouette eines Menschen am Computer mit vielen Trennwänden daneben

Zum ersten Mal ist es uns gelungen, jenen Menschen eine Stimme zu geben, die über Verbleib oder Verschwinden von Inhalten auf den sozialen Plattformen entscheiden. Aber der Weg dahin war nicht leicht: Facebook, Twitter und Co. beauftragen für die ‘digitale Säuberung’ Dienstleistungsunternehmen in Manila, die Tausende von Angestellten mit Codewortern, Einschüchterungen und Repressalien vom Sprechen über ihre Auftraggeber abhalten.

Als wir nach monatelanger Recherche endlich mit den jungen Arbeiter*innen in Kontakt kamen, waren wir überrascht, wie stolz viele auf ihre Arbeit als Content Moderators sind. Manche empfinden sogar eine christliche Pflicht, gegen das ‘Böse’ im World Wide Web zu kämpfen und die sozialen Plattformen, wie sie es nennen, ‘gesund’ zu halten. Die Unternehmen missbrauchen das religiöse Bewusstsein der jungen Arbeiter*innen und ihren Willen, sich für die Sünder*innen dieser Welt zu opfern.

Falls sie dann aufgrund dieser Arbeit schwer traumatisiert sind, wird das oft als Kollateralschaden akzeptiert. Die Symptome, die viele der Content Moderators zeigen, ähneln denen von Soldaten, die vom Kriegseinsatz zurückkehren. Doch während der militärische Dienst gesellschaftlich hoch angesehen ist, müssen die Content Moderators unsichtbar bleiben. In den meisten Fällen dürfen nicht mal ihre Familien erfahren, was sie jeden Tag zu sehen bekommen.

Umso größer war bei vielen von ihnen das Bedürfnis, uns und der Welt zu zeigen, welch ungeheuer wichtige und herausfordernde, belastende Arbeit sie täglich leisten: welche Fotos sie moderieren, welche Videos in ihrer Erinnerung geblieben sind und auch welche Bilder leider nicht mehr verschwinden. Viele von ihnen konnten zum ersten Mal das Unbeschreibliche, das sie täglich auf den Bildschirmen zu sehen bekommen haben, mit uns teilen, verbalisieren und auch loswerden. Psychologinnen der University of the Philippines und eines Berliner Traumazentrums haben uns beim Umgang mit den traumatischen Erfahrungen der Content Moderators beraten.

Was wir mit unserem Film zu enthüllen versuchen, sind aber nicht nur die Konsequenzen, die tausende von Menschen in der Dritten Welt erleiden, um unser Seelenheil zu schützen. Es sind auch die ideologischen Zusammenhänge, etwa zwischen einer Politik des ‘social cleansing’, die weltweit wieder salonfähig wird (der Präsident der Philippinen hat die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die Gesellschaft zu säubern), und dem Auftrag an die Content Moderatoren, die Plattformen ‘gesund’ zu halten. Wie viel Normierung wollen wir in den sozialen Medien, die immer mehr die Rolle einer digitalen Öffentlichkeit einnehmen, akzeptieren? Wie viel Platz bleibt für Grauzonen, für Andersheit, für Minderheiten, wenn viele der Content Moderators ihrer Arbeit mit missionarischem Eifer nachgehen und sich zum Ziel setzen, alles Sündhafte zu bekämpfen? Innerhalb weniger Sekunden wird entschieden, ob ein Post online bleiben darf (‘ignore’), oder ob er gelöscht wird (‘delete’). Im Zweifelsfall entscheidet das Bauchgefühl. Nur ein geringer Prozentsatz der Entscheidungen, die die Content Moderators im Sekundentakt treffen, werden von Vorarbeiter*innen kontrolliert. ‘Denk nicht zu viel nach’ ist eine der ersten Regeln, die ein Content Moderator lernt. So wird offensichtlich, warum Inhalte regelmäßig verschwinden…

Wir wollen mit unserem Film eine längst überfällige Debatte lostreten: Knapp 15 Jahre nach ihrer Erfindung haben sich soziale Netzwerke zu einem gleichermaßen mächtigen wie gefährlichen Instrument entwickelt, das imstande ist, Gesellschaften zu spalten, Minderheiten auszugrenzen und Genozide zu befördern. Wir wollen vor Augen führen, wohin wir steuern, wenn wir die Verantwortung für die digitale ffentlichkeit Privatunternehmen überlassen, die Wut und kollektive Empörung zu Geld machen, und deshalb trotz aller Lippenbekenntnisse keinerlei ernsthafte Anstrengung dagegen betreiben.

Wir wollen zeigen, dass es kein Zufall ist, wenn weltweit eine Politik auf dem Vormarsch ist, die einfach beseitigen oder ausgrenzen lässt, wer oder was ‘stört’, anstatt sich der zugrunde liegenden Probleme anzunehmen. Es ist eine Ideologie, die analog wie digital weltweit an Zustimmung gewinnt und die wir stoppen sollten, bevor es zu spät ist. Die Bequemlichkeit, alle Verantwortung ‘outzusourcen’, können wir uns nicht länger leisten. Die Entscheidung über Demokratie und Meinungsfreiheit darf nicht nur zwei Optionen kennen: ‚Löschen’ oder ‘Ignorieren’. (Pressetext der Filmemacher) bei Filmfriend (dem streamingportal der Öffentlichen Bibliotheken) in der Mediathek der Bundeszentrale für Politische Bildung oder bei arte+7

spiegel online
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A. Hern im Guardian