Fotografieren lernen in Berlin

Rolf Tietgens: der Hafen

Es gibt eine banale Seite des riesigen Hamburger Hafens, so banal wie eine Spedition und es gibt eine faszinierende Seite, die Verbindung zum Weltmeer, die Verbindung zur Geschichte der Seefahrt als Menschheitstraum.
Rolf Tietgens ist zur Zeit seiner Aufnahmen Mitte der dreißiger Jahre alles andere als ein etablierter Fotograf, er ist jung und sein Zeit an der Reimann-Kunst-Schule in Berlin liegt noch nicht so lange hinter ihm. Seine erste Monografie war allerdings schon veröffentlicht ‘Die Regentrommel’ bei einem Berliner Verlag.
Durch seine familiäre Herkunft gehörte er zur Hamburger Oberschicht und die Hoffnung auf künstlerischen Erfolg, war somit eher ein Akt der Rebellion, er setzte wohl schon früh auf die künstlerische Moderne.
Als sein Buch‚Der Hafen‘ in Druck geht, ist Tietgens bereits Exilant in New York, sein Atelier teilt er sich dort mit der in Berlin geborenen Fotografin Ruth Bernhard, und in Amerika ist seine Fotografie zunächst gefragt.
Aber Tietgens *1911 ✝︎1984 gerät in einen Zwiespalt, denn in Deutschland kann er sich aus dem Exil heraus nicht künstlerisch und nicht gegen die Nazis etablieren, in Amerika sind seine künstlerischen Ansprüche noch nicht monetarisierbar und somit verbreitet sich seine Fotografie nicht genug, als dass Tietgens in den Kanon klassischer Kunst-Fotografen aufgestiegen wäre.
Zudem war seine Idee, es gäbe eine ‚Wesenhaftigkeit‘ des Hafens, die er ausdrückt, vielleicht doch philosophisch nicht so tragfähig. Als er die Aufnahmen für den Bildband machte, kippte nämlich gerade die Geschichte des Hafens, von Wirtschaftskrise zu kriegswichtig. Den gesamten einführenden Text des Buches – es stand das 750. Hafenjubiläum an – von Hans Leip durchzieht eine Umformung von prosaisch zu poetisch, der Hafen ist somit eher Vorwand für die Schilderungen als deren Ziel.
Viele Fotos im Buch würden auch als Holz- oder Linolschnitt funktionieren, das liegt zum einen an den tiefen Schatten, zum anderen an den klaren Kompositionen. Aber die dynamischen Sichtweisen dynamisieren häufig Unbelebtes wie etwa eine Fassade. Die Fotos sind somit weniger eine Strukturierung die ‚in’s Bild setzt‘ als vielmehr ein Ausblenden bis ein Bild übrigbleibt.
Einem Berliner, einer Berlinerin, gibt Tietgens allerdings genug an die Hand, als dass sie ‚Hafenwelt‘ imaginieren können, Dampfschlepper liegen im Päckchen, das man darüber laufen könnte, die Festmacherleine ist armdick, stolz ragt der Steven.
So ist es denn auch eine Art Schönheit, die dem Buch seinen Status verleiht, die Zeit ergab: es wurde das schönste Buch über den Hafen von einem talentierten Fotografen. (tn) Eintritt frei Alfred Erhardt Stiftung bis 7.Juli

22.Mai Vortrag ‘Rolf Tietgens und Patricia Highsmith Facetten einer leidenschaftlichen Beziehung’ mit Kurator Prof. Dr. Eckhardt Köhn
12.Juni Vortrag ‘Hamburgs bestes Fotobuch – Der Hafen von Rolf Tietgens’ Dr. Roland Jaeger

podcast mit dem Kurator bei Deutschlandradio Kultur

ein Exemplar des Buchs kann in den Lesesaal der Amerika Gedenk Bibliothek bestellt werden

Filmaufnahmen des Hamburger Hafens zur Enstehungszeit des Buches

ein ausführliche Darstellung seiner kulturellen Eingebundenheit wie seiner Veröffentlichungen in New York bei metromod

Foto: Doppelseite aus dem Buch © Rolf Tietgens